Mittwoch, 11. Juni 2008

Helden, Heilige, Himmelsstürmer


Helden, Heilige, Himmelsstürmer
Fußball und Religion
Die Ausstellung zur Europameisterschaft

21. Mai bis 22. September 2008
Dommuseum (Wien Stephansplatz)






"Einmal etwas anderes" meint die Verkäuferin im Museumsshop und hat recht, wobei ich nicht weiß, ob sie mich jetzt für einen Religiösen, der sich auf Fußball einläßt, gehalten hat oder für den zutreffenden umgekehrten Fall. Ich hab' sie getreu des Grundprinzips jeder Religion in Ungewißheit oder Verirrung gelassen.

Die Ausstellung stellt religiöse Objekte Gegenständen des Fußballkults gegenüber und bietet einen breiten Blick auf das Feld Fußball und Religion, vom emotionalen Halt der Gemeinschaft der Fans und der Verehrung, die dem Verein entgegengebracht wird, über religiöser Symbolik entlehnte Rituale und Kuriosa wie Bilder von David Beckham als kleine Goldfigur zu Füßen einer Buddha-Statue oder als Hindu-Gottheit. Auch viele orthodoxe Ikonen, die in Kontext zu Fußball-Fanartikeln gebracht worden sind. Sehr schön!

Beim Durchschreiten der Räume verwundert einen jedoch immer mehr die Präsenz von Objekten von und über Eintracht Frankfurt (Alles Gute, Ümit!), was doch ein bisserl unvermittelt daherkommt und auch nirgends erklärt wird. Sie rührt daher, daß der überwiegende Teil der Exponate aus der gleichnamigen Ausstellung zur WM 2006 im Ikonen-Museum in Frankfurt am Main stammt. Dies erfährt man aber nirgends, sondern erst nach Kauf der Begleitpublikation, aus der man ersieht, daß die Schau u.a. in Kooperation mit dem Verein entstanden ist.

Die Ausstellung wurde mit Bezügen zur österreichischen Fußballwelt ergänzt, z.B. Sujets der Rapid-Werbekampagne aus dem Jahr 2002

(das und eine Tätowierung - da hätte Rapid doch noch viel, viel mehr hergegeben!) oder durch einen mit Austria-Devotionalien gestalteten "Altar". Gar nicht geht aber, daß der Sindelar-Mythos in Ignoranz der Erkenntnisse der letzten Jahre ("arisiertes" Kaffeehaus) völlig unkritisch reproduziert wird; z.B. die längst hinterfragte Geschichte, er habe rot-weiß-rote Dressen für die österreichische Mannschaft beim "Anschlußspiel" 1938 "angeordnet" (siehe dazu zuletzt David Forster im Ballesterer 34). Daß man den legendären Matthias Sindelar hier hernimmt, ist sicher richtig, aber bitte nicht, indem man die Realität ausblendet! Wie man es richtig macht, zeigt etwa gerade die Ausstellung Wo die Wuchtel fliegt im Wien Museum, Legende und Fakten, nicht schwarz und nicht weiß.



Stadt Frankfurt am Main / Snejanka Bauer (Hg.)
Helden - Heilige - Himmelsstürmer
Fußball und Religion
Frankfurt am Main 2006 (Legat)
144 S.



Die Begleitpublikation zur Ausstellung 2006 in Frankfurt ist für den Fußballkulturbewanderten, aber religionsgeschichtlich weniger Informierten, sehr interessant. Im Buch erfährt man über die fußballrelevanten Aspekte aus der christlichen Welt (Reliquienkult, Ikonen, Märtyrer etc.), Dinge, über die ich sonst wohl nie in so einer Fülle und Tiefe gelesen hätte.
Schade allerdings, daß sich Ausstellung wie Buch auf christliche Symbolik konzentrieren (mit geringen Ausnahmen). Gerade das Beispiel des Einbaus von Beckham in buddistischen und hinduistischen Kult zeigt ja, daß es da noch viel mehr geben muß. Wie ist das im Islam, im Judentum, in Afrika?!

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