Mittwoch, 13. Januar 2016

Ayaktakımı



Rezension


Ayaktakımı
Deutschland 2015
Ein Film von Naz Gündoğdu und Friedemann Pitschak.

Avalon.kultur, Wien, 12.1.2016





Wer an türkischen Fußball denkt, denkt vor allem an seine Fankultur. Sie steht im Zentrum dieses Dokumentarfilms, der den Spuren der Veränderungen der letzten Jahre vor Ort folgt. Der Titel ist Programm, ist doch in der medialen Öffentlichkeit in Bezug auf Fußballfans häufig von Gewalttätern die Rede, von „Ayaktakımı“, wörtlich „Fußmannschaft“, was sinngemäß soviel heißt wie „Gesindel“ oder „Pöbel“. Die staatliche Repression wurde zuletzt massiv erhöht, allerdings nicht wegen gewaltsamer Vorkommnisse sondern wegen des politischen Engagements innerhalb und außerhalb der Stadien während und nach den Protesten um den Gezi-Parks in İstanbul 2013. Ein Politisierungsschub. Der Film zeigt, wie sich Fans davon nicht beeindrucken lassen oder in der einen oder anderen Form mit Einschränkungen umgehen.

Der etwas mehr als einstündige Film wurde von der aus Istanbul stammenden Wiener Kunststudentin Naz Gündoğdu (Galatasaray) und dem Nürnberger Fußballfan Friedemann Pitschak aus gemeinsamen Interesse an der türkischen Fußballkultur entwickelt und über Crowdfunding im Internetz finanziert. Zwei Monate waren sie im Mai und Juni 2015 in der Türkei unterwegs und haben von İstanbul über İzmir, Ankara bis ins kurdische Amed (Diyarbakır) Bilder aus und rund um Stadien eingefangen und mit Leuten gesprochen.

Interviewpartner beschweren sich über das Passolig-System, das zur Personendatenfeststellung aller Fußballfans dient und zu Konto und Kreditkarte bei einer der Regierungspartei nahestehenden Bank verpflichtet, um eine Eintrittskarte in der ersten oder zweiten Liga erwerben zu können. Das Filmteam begleitet eine Fangruppe zu einem Spiel mit Auswärtsfanverbot, bei dem sie die im Auto noch getragenen Schals ablegen und inkognito ins Stadion gehen. Man ist zu Besuch bei einer Fangruppe von Gençlerbirliği Ankara, die seit der Passolig-Einführung die Spiele komplett boykottiert und mit Galatasaray-Fans in der Kurve. Die lebendigsten Szenen gibt es aus İzmir, wo ein Basketballspiel von Karşıyaka sowie die Aufstiegsfeiern der Fußballfans von Göztepe besucht werden und Protagonisten von ihrer Leidenschaft erzählen. Gerade die Blicke in das Land abseits der Metropole İstanbul und auf türkisch/kurdische Bruchlinien machen den Film spannend. Darüber hinaus ist immer wieder bemerkenswert, wie hier mitten in Fankurven Filme entstehen können. Filmemacherin Naz Gündoğdu erzählte dazu im Zuge der Diskussion nach der Filmvorführung im Hinterzimmer eines Wiener Lokals, dass die Leute in der Türkei es lieben, vor einer Kamera zu stehen.

Der Film endet mit einem Blick auf Beşiktaş und den Prozess gegen dutzende Mitglieder der Çarşı, die wegen vorgeblichen Putschversuches gegen die Regierung lange vor Gericht standen. Erst vor kurzem wurden sie freigesprochen.

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