Samstag, 11. November 2017

Erlebnis Fußball, 72



Rezension


Erlebnis Fußball
Ausgabe 72
Oktober 2017
132 S.






Mit dem Abhörskandal bei Chemie Leipzig beschäftigt sich ein längerer Beitrag im Heft. Hier wurden von 2013 bis 2016 14 Leute aus der Fanszene von der Polizei intensiv abgehört, ihr Internetsurfverhalten und ihre SMS, Mails etc. mitgelesen. Elf von ihnen wurden auch von Beamten observiert. Neben den Beschuldigten waren 240 (!) weitere Personen von den Überwachungsmaßnahmen betroffen, da sie mit ihnen Kontakt hatten. Grundlage war, dass in 16 Fällen „Personen als Nazis beschimpft, verunglimpft und verprügelt“ worden sein sollen, was die jahrelange Polizeiermittlung in Gang setzte. Als Hauptverdächtiger galt den Behörden ein hauptamtlicher Fanprojektmitarbeiter, dem aber keinerlei konkrete Straftaten vorgeworfen werden konnten − „Vielmehr wurde ihm zur Last gelegt, die notwendige Strukturarbeit im Hintergrund geleistet zu haben: Organisation von Busfahrten zu Auswärtsspielen, die Bereitsstellung von Räumlichkeiten für Fantreffen und − kein Witz! − weil er mit den Chemie-Fans zur Exkursion in den Dresdner Landtag gefahren sei.“ berichtet Stefan Schilde. Nach gigantischem Aufwand wurden die Ermittlungen 2016 ohne Ergebnis eingestellt, erst im Frühjahr 2017 erfuhren die Betroffenen von ihrer Bespitzelung. Es gab einige Medienmeldungen, aber wenig Aufregung.

Über den Beginn der Abschaffung der ungeliebten Tessera del Tifoso in Italien schreibt Kai Tippmann. Manches wird besser, doch vieles bleibt gleich, bilanziert er die Maßnahmen. „Als Sieg würde ich die Abschaffung der Tessera aber nur bezeichnen, wenn sich die italienischen Ultragruppen in ihren Protesten nun gemeinsam auf die tatsächlichen und weiter bestehenden Repressionsmaßnahmen konzentrieren würden, anstatt sich in sterilen Kämpfen von ‚Tesserati‘ gegen ‚Non-Tesserati‘ aufzureiben.“

Ein schöner Heftteil widmet sich auf 46 Seiten 14 Cupfinali in verschiedenen europäischen Ländern, darunter auch jenem von Rapid (Beitrag von den Ultras Rapid). In der Übersichtsgrafik werden alle Vereinswappen gezeigt bis auf jenes des Rapid-Gegners. Das ist sinnvoll und richtig so, denn es handelt sich beim Dosenprojekt um keinen Fußballverein.

„Vergleicht man die Bilder der Tivoli Nord von früher und heute, könnten einem die Tränen kommen.“ leitet EF ein Interview mit dem Verrückten Köpfen von Wacker Innsbruck ein, in dem diese über Vergangenheit und Gegenwart sprechen. Weitere Artikel im Heft behandeln Beispiele von Problemen von Fanszenen mit ihren Vereinen in Deutschland, die Rückkehr von 1860 München in das Grünwalder Stadion, präsentieren Velež Mostar, erzählen von Reisen in Westafrika oder dem Chemnitzer Stadion und dem Fanzine Der kleine Zeitvertreib.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen