Mittwoch, 7. Februar 2018

Ballesterer 129




Rezension


Ballesterer
Nr. 129, März 2018
84 S.







„Im tiefen Raum der Utopie“ ist die Titelgeschichte des Ballesterer unterwegs. Mareike Boysen und Nicole Selmer spüren nach, wie die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche des Jahres 1968 in den Fußball wirkten: „Im Fußball wurde 1968 die Welt nicht verändert, doch was 1968 die Welt veränderte, kam auch im Fußball an − als Proteste auf den Rängen, als Forderung nach demokratischen Strukturen und als Wunsch, große Spieler mögen auch große Revolutionäre sein.“ 1968 war das Jahr (und die Chiffre für eine darüber hinausgehende Bewegung) der Rebellion gegen überkommene Strukturen und des Aufbruchs. Im Mai 1968 besetzten in dieser Simmung im revolutionären Paris 30 Spieler mit der Parole „Le football aux footballeurs!“ („Der Fußball den Fußballern!“) die Zentrale des Französischen Fußballverbands, um gegen die Stärkung von Großklubs und Vernachlässigung des Breitensports zu protestieren. Bei den Olympischen Spielen von 1968 wurde gegen Rassismus protestiert und das Thema war auch schon bei der Fußball-WM 1966 in der Behandlung der afrikanischen FIFA-Mitgliedsländer virulent gewesen.
Am Fußballfeld reichte die Bewegung weit in dies siebziger Jahre. Einige Spieler verkörperten durch Bruch von Konventionen Aufbruchstimmung − wie etwa Johan Cruyff oder Günther Netzer, die sich selbst aber nicht politisch progressiv äußerten. Best, Cruyff und Netzer dienten als Projektionsflächen. Ihre Revolutionen blieben auf den Rasen beschränkt, sie standen weniger für einen Umsturz im Fußball als für den Wunsch danach.“ schreiben Boysen und Selmer und verweisen dabei auch auf den Brasilianer Sócrates und die von ihm mitinitiierte Demokratiebewegung Democracia Corinthiana bei den Corinthians aus São Paulo in den 1980er Jahren zur Überwindung der Militärdiktatur. Ein Spieler, der politische Aktivität und Profifußball in den 1960er/70er Jahren verband, war der Italiener Paolo Sollier. Er ziert mit typischer Geste das Titelblatt und wird im Heft interviewt.
1968 markiert in Italien auch die Geburt der Ultrabewegung, als die Fossa dei Leoni von Milan gegründet wurden und die farbenfrohen, lauten und kreativen Protestformen der Demonstrationen zum Ultrasupport auf den Rängen der Stadien umgewandelt wurden. Domenico Mungo resumiert in einem Kommentar Entstehung und Entwicklung der Ultras.

Eine spannende Geschichte, die man so sonst nirgendwo gelesen hat und nirgendwo liest, gibt es über den schwierigen Karriereverlauf und das schwierige Leben von Alain Masudi. Weitere Themen im Heft sind das FIFA-Korruptionsverfahren, Altera Porta und Frauenfußball in Österreich, eine Debatte zwischen Fanvertreter und Geschäftsführer über die Zukunft der Vienna, der sportlichen Höhenflug von Atalanta BC sowie Stadionarchäologie. Über Red Star in Paris gibt es eine Reportage, die nicht von Christoph Heshmatpour ist.

Über Vorwärts Steyr und das Vorwärts-Stadion schreibe ich in meiner Serie Nebenschauplätze.

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